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Copyright Bartók-Archiv, Institut für Musikwissenschaft der
Ungarischen Akademie der Wissenschaften, 2004-2005
Sein „eigenstes Bekenntnis“
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Als der
Schreiber dieser Zeilen an der deutschen Übersetzung von
Cantata profana (1930–31) arbeitete,
gestand ihm Bartók, er erachte und bekenne dieses Werk
als sein eigenstes „Bekenntnis“.
Bence Szabolcsi, Bartók Béla: Cantata
profana, in: Miért szép századunk zenéje? [Warum ist es
schön? – Die
Musik des 20. Jahrunderts ], hrsg. von György Kroó, Budapest, 1974, S. 186
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[...] Was den musikalischen Teil der obenerwähnten
Liederkategorien anbelangt, so ist die Kategorie der
„Weihnachtslieder“ (rumänisch „Colinde“) am wichtigsten;
sie bietet übrigens auch in ihren Texten folkloristisch,
ja kulturhistorisch höchst wertvolles und interessantes
Material. – Nun soll man sich aber ja nicht unter diesen
„Weihnachtsliedern“ irgend etwas vorstellen, das dem
frommen westeuropäischen Weihnachtslied entspricht.
Schon der wichtigste Teil – vielleicht ein Drittel – der
Texte hat mit der christlichen Weihnachtsfeier überhaupt
nichts zu tun: Statt der Geschichte von Bethlehem finden
wir darin die Beschreibung wunderbarer siegreicher
Kämpfe mit dem noch nie besiegten Löwen (oder Hirschen);
die Legende von den neun Menschensöhnen, die so lange in
den Hochwäldern gejagt haben, bis sie sich in Hirsche
verwandelt haben [...] Also lauter noch aus den
heidnischen Zeiten herübergerettete Texte! [...]
Bartók, “Rumanian Folk
Music” (1933), in Béla Bartók Essays,
ed. Benjamin Suchoff (London, 1976), 120–21 |
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Das Colindieren spielt sich folgendermaßen ab: Nach
mehrwöchigem „Studieren“ (unisono chorisches
Zusammensingen) der Colinde-Lieder unter Leitung des
Scharführers tritt am Weihnachtsabend eine Schar von
etwa acht bis zehn Burschen den Gang zum Colindieren an.
Vor jedem Haus des Dorfes wird haltgemacht und gefragt,
ob die Hausinsassen das Colindieren erlauben. Im Zimmer
werden dann etwa vier bis fünf Colinde-Lieder als
Wechselgesang zum besten gegeben, indem die Schar sich
in zwei Gruppen trennt und indem die Strophen
abwechselnd von je einer Gruppe gesungen werden. Zum
Schluß wird die Schar beschenkt und zieht zum
Nachbarhaus weiter. [...]
Beachtenswert
ist der fortwährende Taktwechsel: Man bedenke, diese und
viele ähnliche „komplizierte“ Melodien werden von
Analphabeten mit der größten Sicherheit und
Selbstverständlichkeit gesungen: der beste Beweis, wie
sehr sich manche Theoretiker irren, wenn sie glauben,
ein häufiger Taktwechsel wäre etwas Gekünsteltes. [...]
Bartók, Rumänische Volksmusik (1933),
in: Béla Bartók, Musiksprachen. Aufsätze und Vorträge,
Leipzig, 1972, S. 84ff
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[...] würden
Sie die Freundlichkeit haben beiligenden Text jener
Colinda, die ich in Musik setze, genau durchzusehen und
eventuelle orthographische oder sonstige Fehler zu
korrigieren? Sie haben bis Mitte August Zeit damit.
Bitte auch die Richtigkeit der Silbenteilung zu prüfen.
Bartók Brief an Constantin Brăiloiu,
zitiert nach András Benkő, „Bartók Béla levelei
Constantin Brăiloiuhoz“ [Bartóks Briefe an Constantin
Brăiloiu),
in: Bartók Dolgozatok [Bartók Studien],
hrsg. von Ferenc László, Bucharest, 1974, S. 2277
[...] In der „Cantata profana“ ist bloss der Text
rumänisch; das thematische Material ist eigene
Erfindung, es ist auch keine Nachbildung rumän.
Volksmusik, ja manche Teile sind überhaupt nicht im
Volkston. Also müsste dieses Werk bloss als eine
„Vertonung eines rumän. Col.[inda]-Textes“ erwähnt
werden.
Bartóks Brief an Octavian Beu vom 10.
Januar 1931, in: Béla Bartók, Briefe,
hrsg. von János Demény, Budapest, 1973, Bd. II, S. 83
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Ich halte mich für einen
ungarischen Komponisten. Auf Grund jener Originalwerken,
in welchen ich Melodien eigener Erfindung, die rumän.
Volksmusik nachgebildet oder nachempfunden sind,
benütze, kann ich ebensowenig als „compositorul român“
bezeichnet werden, wie Brahms, Schubert und Debussy
nicht auf Grund ihrer Originalwerken, in welchen sie
ungarisch, bzw. spanisch nachempfundenes thematisches
Material verwenden, als ungarische bzw. spanische
Kompon. bezeichnet werden können. [...] Wäre Ihre
Auffassung richtig, so könnte ich mit ebensolchem Rechte
als „slowakischer Komponist“ gelten [...]
Eigentlich
kann man mein kompositorisches Schaffen, eben weil es
aus dieser 3-fachen (ungar., rumän., slowak.) Quelle
entspringt, als eine Verkörperung jener Integritäts-Idee
betrachten, die heute in Ungarn so sehr betont wird.
[...] Meine eigentliche Idee aber, deren ich – seitdem
ich mich als Komponist gefunden habe – vollkommen bewusst
bin, ist – die Verbrüderung der Völker, eine
Verbrüderung trotz allem Krieg und Hader. Dieser Idee
versuche ich – sowie es meine Kräfte gestatten – in
meiner Musik zu dienen; deshalb entziehe ich mich keinem
Einflusse, mag es auch slowakischer, rumänischer,
arabischer oder sonst irgendeiner Quelle entstammen. Nur
muss die Quelle rein, frisch und gesund sein!
Bartóks Brief an Octavian Beu vom 10.
Januar 1931, in: Béla Bartók, Briefe, hrsg. von
János Demény, Budapest, 1973, Bd. II, S. 80f
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