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Copyright Bartók-Archiv, Institut für Musikwissenschaft der
Ungarischen Akademie der Wissenschaften, 2004-2005
Gesichter eines Mannes
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Mit drei bekam er eine Trommel geschenkt und fand großes
Gefallen an ihr. Wenn ich Klavier spielte, saß er auf seinem
kleinen Stuhl, die Trommel vor sich auf einem Fußschemel, und
gab exakt den Takt an. Wenn ich vom 3/4-Takt zum 4/4-Takt
wechstelte, unterbrach er für einen Moment das Trommeln und
setzte im rechten Augenblick wieder ein. Noch heute kann ich
mich genau daran erinnern, wie ernsthaft und konzentriert er
mein Spiel begleitete.
Aus dem Brief von Bartóks Mutter an ihren Enkel, 14. Aug.
1921,
zitiert nach Malcolm Gillies, Béla Bartók im Spiegel seiner
Zeit – Portraitiert von Zeitgenossen, Zürich/St. Gallen,
1991, S. 18
Möglicherweise geben sich genaue Leute mit den von Dichtern
offerierten impressionistischen Wortmalereien nicht zufrieden
und fordern zunächst eindeutige Fakten aus der Wissenschaft.
Wollen wir also einmal sehen, was wir über ihn auf der Grundlage
der Gruppenunterteilungen gemäß der Charakterologie von
Kretschmer schreiben sollten. Die Merkmale der cyclothymen
Gruppe treffen nicht auf ihn zu. Es werden aber in der anderen
Gruppe, der schizothymen Gruppe, Merkmale genannt, die auf ihn
passen: fragil, dünn, empfindlich, kühl, ernst, zurückgezogen,
kalt, teilnahmslos, träge (vom höchsten Extrem bis zum
niedrigsten). Von der Eigenschaften „kalt“ an aufwärts sind sie
für Bartók zutreffend. Die Kategorien der seelischen Anspannung
[...]: fanatisch, pedantisch, unnachgiebig, beharrlich,
systematisch. Lediglich die beiden höchsten Extreme – kapriziös
und konfus – treffen nicht auf ihn zu, wohingegen der Rest den
Nagel auf den Kopf trifft. Der Behendigkeitsaspekt, d. h. die
Reaktionsgeschwindigkeit, durch stimuli hervorgerufen:
unzulänglich, d. h. Reaktionen auf Reize erfolgen schneller als
gewöhnlich. Die Beschreibungsbegriffe dieser Kategorie lauten:
rastlos, überstürzt, zögerlich, linkisch, aristokratisch,
findig, eckig, rigide. Mit Ausnahme dieses letzten trifft der
Rest mehr oder weniger zu. Mit Bezug auf die sozialen
Beziehungen: verschlossen, reserviert. Abstufungen: Idealist,
Reformer, Revolutionär, Systematiker, Organisator, eigenwillig,
wuderlich, unzufrieden, beherrscht, mißtrauisch, einsam,
unsozial, misanthropisch, brutal, anti-sozial. Mit der Azusnahme
der letzten drei gibt es keinen Begriff, der ihm nicht
zugeschrieben werden könnte. Die Kategorien der seelischen
Anspannung: geistreich, lebhaft, empfänglich, tatkräftig,
gehemmt. Er könnte ein typisches Beispiel der schizothymen,
mentalen Form abgeben. [...]
Soweit die Charakterologie. Es klingt leidlich präzise, obwohl
natürlich auch hier die wahren Lebensumständen von der
Wissenschaft nicht bis ins letzte erfaßt werden können. Denn
obwohl es stimmt, daß diese Eigenschaften gelegentlich
auftauchen, ist der Mensch nun eimal kein so einfachgestricktes
Phänomen, daß seine ewigen Geheimnisse durch ein kleines, mit
ein paar Zeilen versehenes Schildchen enträtselt werden könnten. ...
Zoltán Kodály, Béla Bartók the Man (1946), in:The
Selected Writings of Zoltán Kodály, London, 1974,
zitiert nach Malcolm Gillies, Béla Bartók im Spiegel seiner
Zeit – Portraitiert von Zeitgenossen, Zürich/St. Gallen,
1991, S. 251f.
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Scharf, für immer unvergeßlich hat sich Béla Bartóks Gestalt
jedem eingeprägt, der ihm einmal begegnet ist. Und das ist um so
bedeutsamer, als der große Musiker niemals auch nur den
geringsten Wert darauf gelegt hat, seine Persönlichkeit
hervorzuheben oder zu stilisieren. Er konnte sich den größten
Luxus seiner Zeit erlauben: aufrichtig und wahr zu sein. Und was
seine Kunst zum größten Teil nicht verraten hat, kann seine
Umgebung – seine Familie ebenso wie seine Bauernsänger und
jugendlichen Schüler – bezeugen, nämlich: daß im Innersten
dieser unendlich komplizierten Schöpferpersönlichkeit schlichte
und warme Menschlichkeit wohnte.
Er war mittelgroß von Gestalt und hatte eine nervöse, zarte
Konstitution; doch strahlte auf diesem gebrechlichen, von
Krankheiten angegriffenen, beinahe schmächtigen Körper ein
leuchtendes Haupt; sengende, tieffeurige nußbraune Augen mit
durchdringendem Blick, die sich beim Klavierspiel oder bei der
Diskussion weit öffneten und aufflammten; eine gewölbte Stirn,
deren einst wellige, später kurzgeschorene Haarumrahmung
besonders an den Schläfen früh ergraut war; eine
feingeschnittene Nase und ein schmaler, energischer Mund – es
gab Menschen, auf die all dies den Eindruck einer
mittelalterlichen asketischen Mönchsgestalt machte.
Bence Szabolcsi, Das Leben Béla Bartóks,
in: Béla Bartók. Weg und Werk, zusammengestellt von Bence
Szabolcsi, Budapest, 1957, S. 9
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[[...] [Ich habe] die für ihn so charakteristischen Zeilen,
die er mir kurz vor meinem Besuch auf Englisch schrieb,
aufbewahrt.
Dear Mr. Gray,
...Bitte lassen Sie mich per Telegramm die genaue Uhrzeit Ihres
Eintreffens in Budapest wissen. Ich werde Sie am Bahnhof
erwarten und Sie zu Herrn Kodály bringen. Ich lege eine
Photographie jüngeren Datums von mir bei: Sie müssen versuchen,
mich bei Ihrer Ankunft abzupassen – Ich bin sehr dünn, habe
graue Haare und trage eine Brille. Außerdem werde ich eine
Ausgabe von „The Sackbut“ bei mir haben, damit Sie mich leichter
herausfinden können.
Ihr sehr ergebener
Béla Bartók
All diese geheimen Erkennungszeichen stellten sich als völlig
überflüssig heraus. Auf eine liebenswürdige Art und Weise war er
sich überhaupt nicht der Tatsache bewußt, daß ich sogar in einem
so riesigen Menschengewimmel, wie ich es am Budapester
Hauptbahnhof vorfand, durchaus in der Lage sein würde, und das
trotz meiner starken Kurzsichtigkeit, auf Anhieb die Person
herauszupicken, die ich zuvor schon mit nur einem einzigen Blick
auf ihre Werke als einen der größten, zeitgenössischen
Komponisten entlarvt hatte. Dazu bedurfte es weder eines neueren
Fotos noch einer demonstrativ vorgehaltenen Ausgabe von „The
Sackbut“. Und so kam es natürlich auch. Sobald im Bahnhof mein
Blick auf ihn fiel, gab es keinen Zweifel an seiner Identität:
Beinahe melodramatisch erhaben stand er dort, umgeben von einer
trüben, neutralen und unbedeutenden Menschenmasse, wie ein
Leuchtturm in sturmgepeitschter See. [...]
Aus Cecil Gray, Musical Chairs, London,
1948
zitiert nach Malcolm Gillies, Béla Bartók im Spiegel seiner
Zeit – Portraitiert von Zeitgenossen, Zürich/St. Gallen,
1991, S. 92f.
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[...] unsere junge Musikergruppe
[richtete] ihre höchste Aufmerksamkeit auf Bartóks Namen und
Arbeit, und jede der – leider recht seltenen – Aufführungen
eines neuen Werkes wurde für uns zu einem wichtigen Ereignis.
Die Musikschriftsteller, die über den Zeitabschnitt nach Debussy
schreiben, machen meistens einmütig Schönberg und Strawinsky
verantworlich für die Reaktion, die jene Jahre ausgelöst haben.
Einige nennen sogar noch Erik Satie. Nach meiner Auffassung ist
vielmehr Bartók – mit Schönberg und Strawinsky zusammen – der
eigentliche Repräsentant der musikalischen Revolution in dieser
Generation. Nicht so unmittelbar, nicht so funkelnd wie
Strawinsky, nicht so dogmatisch wie Schönberg, ist er doch
vielleicht noch mehr zuinnerst Musiker als die beiden andern und
derjenige unter ihnen, dessen Entwicklung sich in der
gleichmäßigsten und geordnetsten Auswirkung seiner Kräfte
vollzog.Arthur Honegger, „Vorwort“,
in: Serge Moreux, Béla Bartók (Zürich/Freiburg i.
Br., 1952), S. 10
Wer Bartók begegnete, im Gedanken an die rhythmische Urkraft
seiner Werke, war von der schmalen, zarten Gestalt überrascht.
Er hatte die äußere Erscheinung eines feinnervigen Gelehrten.
Der von fanatischem Willen und unbarmherziger Strenge besessene
und von einem glühenden Herzen getriebene Mensch wirkte unnahbar
und war von zurückhaltender Höflichkeit. Sein Wesen atmete Licht
und Helligkeit. Seine Augen leuchteten mit herrlichem Feuer. In
den Strahlen seines forschenden Blickes hatte nichts Unwahres
und Unklares Bestand. Wenn etwa beim Musizieren eine besonders
gewagte und schwierige Stelle gut gelang, lachte er knabenhaft
übermütig, und wenn er sich über das glückliche Vollbringen
einer Aufgabe freute, strahlte er förmlich. Das bedeutete mehr
als unverbindliche Komplimente, die ich aus seinem Munde nie
vernommen habe.
Paul Sacher, Béla Bartók zum Gedächtnis,
in: Musik der Zeit, hrsg. von Heinrich Lindlar, Heft 3,
Bonn, 1953, S.66
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